Dieser Roman hallt lange nach: Sophie Reyer hat einen Roman über den Autisten Jakob geschrieben, angelehnt an eine wahre Begebenheit. Sie erfasst in einer beeindruckenden, beinahe lyrischen Sprache das Innenleben Jakobs, seine Rahmenlosigkeit und Unfähigkeit, so zu funktionieren, wie die Umwelt es wünscht. Geboren in die Lebenswelt eines Tiroler Bergdorfs hat Jakob schon in der eigenen Famlie nur seine kleine Schwester Resi als Verbündete, die Mutter ist zumindest nicht grausam zu ihm, jedoch der Vater und die große Schwester setzen ihm zu. Der Vater ist für Jakob nur das „Vaterschlagen“, die Schwester Agathe erlebt er als inwendig rot glühend, als Wut. Der Roman setzt ein, als Jakob zur Schule kommt, was nicht lange gut geht. Allein die Beschreibung, wie Jakob sich in der Schule verhält, ist einnehmend und lässt die Leserin sich wie ein Jakob fühlen. Ein Jakob, der sich nicht trennen kann von den Dingen und Stimmungen um ihn herum. Er ist die Hand der Lehrerin, er ist der Gewitterdonner, er ist das Vaterschlagen. Die sprachliche Macht, mit der Reyer diese Randlosigkeit erfasst, ist beeindruckend. Nach üblen Erfahrungen geht Jakob mit ungefähr 16 Jahren aus dem Dorf heraus und lebt irgendwo in den Bergen nahe dem Herzensgrund, seinem Fluchtort, in einer Höhle. Dort bleibt er 25 Jahre, bis Resi ihn krank findet und mitnimmt. In diesen einsamen, aber sicheren Jahre verwebt sich Jakob vollständig mit der Natur, die er als gebend und nehmend begreift, also als durchschaubar und regelhaft. Dadurch gelingt es ihm, ohne fremde Hilfe zu überleben.
Ein sehr besonderes Buch, das sowohl für Menschen, die sich für Autismus interessieren, spannend ist, als auch für naturverbundene Menschen, denn die Natur hat einen herausragenden Stellenwert in diesem gelungenen Roman.
Sophie Reyer, 1984 geboren, hat bereits mehrere Preise und Stipendien erhalten. Sie schreibt Prosa, Lyrik und Theatertexte.
Sophie Reyer, Die Freiheit der Fische, Czernin Verlag, 20,00 Euro