Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2023: „Echtzeitalter“ von Tonio Schachinger

In seinem Schulroman stellt Tonio Schachinger die analoge Bildungsbürgertum-Welt der besseren Wiener Gesellschaft dem realen Leben des 15-jährigen Till gegenüber. Till hat früh seinen Vater verloren, leidet unter dem grausamen Klassenlehrer Dolinar am Marianum und flüchtet sich in die Welt des Onlinespiels „Age of Empires 2“. Hier wird er zu einem der weltbesten Spieler, was aber niemand aus seiner Umgebung weiß und seinen Lehrer natürlich auch überhaupt nicht interessieren würde.

Wie sich Till den Regeln der Schule fügt, hat mich sehr beeindruckt – er macht es so stillschweigend, klagt gar nicht besonders, schon gar nicht seiner Mutter gegenüber (was verwundert) , sondern belohnt sich mit dem Spiel, in dem er immer besser wird. Ein klassisches Beispiel des „Wegbeamens“ aus einer Welt, die in ihrer Brutalität schwer zu ertragen ist. Zum Glück hat Till auch Freunde, er ist also kein Nerd, der den Kontakt zur Welt verloren hat. Für Menschen, die selbst nicht online spielen, hält das Buch eine Menge Wissenswertes bereit und vermittelt ein erweitertes Verständnis für die Welt der Spiele.

Schachinger stellt die Welt des Spiels dem antiquierten Bildungsanspruch Dolinars gegenüber. Dessen Bildungsbegriff ist umfassend und eigentlich nicht verkehrt, leider bleibt er beim Reclamheft als nostalgisch anmutendem Symbol stehen und kann den Wissenserwerb nicht freudvoll gestalten, sondern im Gegenteil nur mit hartem psychischem Druck und grausamer Unterdrückung. Als die Jungs sich überlegen, wie sie es schaffen, noch schnell ein vergessenes Reclam für den Unterricht zu besorgen, in der Pause von Pontius zu Pilatus rennen, habe ich beim Lesen mit ihnen geschwitzt und und inständig gehofft, dass sie der drohenden, grausamen Strafe entgehen können.
Die Erzählweise des erst dreißigjährigen Schachingers, der selbst eine ähnliche Schule besucht hat, ist klassisch, auf feine Weise subtil, auch humorvoll und sie regt zur Reflektion über Schule, Onlinespiele und die Gegenwart ein.
Sehr lesenswertes Buch!
Tonio Schachinger, Echtzeitalter, Rowohlt Verlag, 24 Euro