Enttäuschend: „Das Narrenschiff“ von Christoph Hein

Mittendrin im Leseprozess möchte ich hier einen Eindruck des Buches festhalten in der Hoffnung, dass auch andere Lesende dem folgen können oder wir im Laden einmal darüber sprechen.

„Das Narrenschiff“ wird in Kritiken als das Opus Magnum Heins bezeichnet, als der epische Großroman zur DDR, zu Diktatur und Macht, Parteisoldatentum und dem Leben in einer stets der Partei gehorchenden Gesellschaft. Fast alle Besprechungen sind überaus positiv, außer der von Marlen Hobrack, die neben Lob auch verhaltene Kritik übt. Nachzulesen beispielsweise im „Perlentaucher“.
So ganz kann ich den Hymnen nicht beipflichten.

Inhaltlich berichtet Hein in auktorialer Erzählform die Jahre von 1945 bis über 1989 hinaus entlang der realen historischen Ereignisse. Die Figuren, denen der Roman folgt, sind im wesentlichen vier: Johannes Goretzka, ein ehemals glühender Nazi, der nun ein glühender Parteisoldat ist, seine Frau Yvonne, ehemals unpolitisch, nun ebenfalls in einer hohen Position Parteisoldatin sowie das Ehepaar Emser und der Kulturpolitiker Benaja Kuckuck.

Christoph Hein wählt eine kochentrockene Sprache, wohl, um das Ausgetrocknete der DDR-Jahre, die absolute Parteitreue ohne jeden individuellen, emotionalen Touch zu verdeutlichen. Das Buch entwickelt auch tatsächlich einen Sog, der mich weiterlesen lässt. Psychologische Deutungen bleiben komplett aus, die Charaktere bleiben blass, aber das ist eigentlich in Ordnung, deren seelisches Leben ergibt sich aus den Tatsachen, mit denen sie konfrontiert sind.

Mein großes Aber: es finden sich sehr viele Wiederholungen, die keinen Mehrwert haben. Sie verdeutlichen nichts Wesentliches, es gibt keinen Zusammenhang mit einem besonders bedeutsamen Detail. Teilweise wird auf einer Seite in einem Absatz ein Sachverhalt (sic!) geschildert, der auf derselben Seite in einem weiteren Absatz mit etwas anderen Sätzen, aber gleichen Worten wiederholt wird, als ob der Autor noch die richtigen Sätze gesucht hat, um das zu Schildernde zu formulieren und im Buch beide „Probeläufe“ erhalten geblieben sind. Auch werden in zwei Absätzen nacheinander häufig dieselben Adjektive genutzt, usw.

Auf mich wirkt das Buch daher in Teilen noch unfertig. Vermutlich hätte es insgesamt keine 750 Seiten gebraucht, wenn das Buch einmal gründlich überarbeitet worden wäre. Das schmälert mein Lesevergnügen sehr.

Also: das ist der Lesezwischenstand, ich werde weiterlesen, eben weil das  Buch inhaltlich wirklich superinteressant ist und einen anderen Blick auf die DDR wirft als viele andere jüngst erschienene Romane.

Anhang: Bis zum Ende habe ich „Das Narrenschiff“ gelesen, gequält. Die Wiederholungen werden nicht weniger, teilweise scheint der Autor den Überblick über den Werdegang seines Personals verloren zu haben. Kathinkas Sohn Jonathan, wird geschrieben, geht nach dem Abitur für ein Jahr auf Reisen durch die ostdeutschen Bruderländer. Einige Seiten später fängt er nach dem Abitur eine Ausbildung zum Krankenpfleger an. Oder: Kathinka bewirbt sich bei der „Edition Leipzig“, einem Faksimile-Verlag, der nur für den Westmarkt hochwertigste Nachdrucke historischer Werke herstellt. Im Gespräch wird auf eine Fehlentscheidung hingewiesen, die den Verlag viel Geld gekostet hat, wie ihr der Verlagsleiter Koppelreuther erzählt: „Oder das Fest-Epistolar Friedrichs des Weisen. Zu meiner Schande muss ich gestehen, bei Letzterem hatten wir uns verkalkuliert.“ (S. 643)  10 Buchseiten später ist es Kathinka, die genau diesen Fehlgriff verantwortet, der ja eigentlich lange vor ihrer Verlagszeit stattgefunden haben soll.
„Neun Jahre hatte Kathinka bereits für die Edition Leipzig gearbeitet, als der Verlag in eine Schieflage geriet ….es handelte sich um das „Fest-Epistolar Friedrichs des Weisen…..`nein, Kathinka, das stemmen wir nicht`….`Mein Gott Chef, wir haben das Luther- Jahr..`.“. (S. 643/644) Das ist ärgerlich und macht das Buch wenig vertrauenswürdig, wenngleich die historischen Begebenheiten sicherlich der historischen Wahrheit entsprechen, Christoph Hein war ja dabei, das bliebe zu prüfen.

Ein enttäuschender Roman, der ohnehin sehr trocken geschrieben ist, wie oben erwähnt, der aber auf alle Fälle ein gründliches Lektorat benötigt hätte und dem  herausragenden Gesamtwerk Christoph Heins meiner Ansicht nach unwürdig ist.

Christoph Hein, Das Narrenschiff, Suhrkamp Verlag, 28 Euro