Nochmal ein Doppelpack: Brit Bennett und Mithu Sanyal

Ein weiterer Schwerpunkt in der aktuellen Literatur ist das Thema Rassismus, Race, Racism (sehr empfehlenswert dazu ist das Buch von Tupoka Odette „Exit racism“ – es tut richtig weh, weil es den Finger auf Denkmuster legt, die gerade uns aus dem alten Jahrhundert Stammenden gar nicht als zu hinterfragen erschienen sind – bis jetzt, Unrast Verlag, 12,80 Euro)

Als Romane nehmen sich die beiden hier zu besprechenden Bücher des Themas aus gegensätzlicher Sicht an und dennoch sind schnell die typischen Parallelen zu erkennen.
Brit Bennett erzählt in dem extrem spannenden Roman „Die verschwindende Hälfte“ die Geschichte der Zwillinge Stella und Desiree, die in den 1960er Jahren irgendwo in einem Ort in Amerika aufwachsen, der nicht einmal auf einer Landkarte verzeichnet ist. Die Einwohner des kleinen Ortes Mallard sind Schwarze, aber so hell, dass sie selbst gegenüber dunkleren Schwarzen Vorurteile hegen und sich von diesen unbedingt absetzen wollen. Darin zeigt sich bereits, dass schwarz und weiß theoretische Konstrukte sind, die die Hautfarben als Kategorisierungsmerkmal nutzen. Die Zwillinge wagen sich in die Welt und landen in New Orleans, wobei alle in Mallard meinen, dass die beiden ohnehin bald zurückkommen: „Aber sie kamen nicht zurück. Stattdessen zerstreuten die Zwillinge sich nach einem Jahr und lebten ihr Leben so säuberlich getrennt, wie sie einst das Ei geteilt hatten. Stella wurde weiß, und Desiree heiratete den dunkelsten Mann, den sie finden konnte.“ Stella bekommt eine Tochter, die ebenfalls weiß ist. Desiree bekommmt eine schwarze Tochter und kehrt in ihren Heimatort zurück.
Bis in die Neunziger Jahre hinein begleitet der Roman die Wege der Schwestern, die durch eine einzige Entscheidung in so unterschiedliche Richtungen gehen. Die Töchter der beiden sind es letztlich, die die Verbindung wieder herstellen. Neben der eigentlichen Geschichte werden wie nebenbei viele dramatische Diskriminierungen von Menschen mit nichtweißer Hautfarbe deutlich, die in den 1960er Jahren selbstverständlich waren und es wohl auch heute teilweise sind.
Undercover Whiteness – die Geschichte ist deshalb so faszinierend, weil sie „race“ gleichzeitig unterminieren und stabilisieren….. so formuliert es Mithu Sanyal, die Autorin des zweiten Buches dieser Besprechung, in der es genau andersherum verläuft: Undercover People of Colour.
„Identitti“ heißt der Roman, in dem es um eine Professorin geht, die sich Saraswati nennt und als Inderin auftritt. Nivedita, Tochter eines Inders und einer polnischstämmigen Deutschen, studiert bei Saraswati an der Uni in Düsseldorf „Postcolonial Studies“ und liebt ihre Professorin, weil sie durch diese überhaupt eine Idee ihrer eigenen Identität entwickeln kann. Umso härter trifft sie die Mitteilung, Saraswati sei in Wahrheit eine Weiße mit Namen Sarah Vera Thielmann. Nivedita zieht für ein paar heiße Sommerwochen zu Saraswati und die Auseinandersetzung darüber, was Hautfarbe, Race und Rassismus überhaupt bedeuten, und ob sich Saraswati der kulturellen Aneignung schuldig gemacht hat, bestimmen das Zusammenleben. Für die LeserInnen ist dieser Diskurs hochspannend und außerdem sehr erhellend, denn die Gespräche sind durchsetzt mit Verweisen auf aktuelle theoretische Literatur zum Thema. Außerdem hat die Autorin eine Reihe real existierender Menschen gebeten, Twitterbeiträge zu verfassen, in denen diese eine Meinung formulieren zu so einem Fall, wenn er denn real eingetreten wäre. (In Amerika gab es tatsächlich solche Fälle). Dadurch ist der Roman extrem heutig und schnell. Identitti ist übrigens der Name, den sich Nivedita als Verfasserin eines Blogs gegeben hat, einige Beiträge werden ebenfalls im Buch gedruckt. Die verschiedenen Seiten, die in der Debatte zu Saraswatis Handeln aufgeblättert werden, sind gleichzeitig eine Darlegung so vieler Aspekte der Themen Rassismus, kultureller und sexueller Identität, dass der Blick auf den gesamten Komplex nach der Lektüre dieses Buches ein ganz anderer wird. Freude macht das Lesen überdies, denn die Autorin spart nicht mit Ironie und Humor.
Große Leseempfehlung für alle, die einen Überblick über aktuelle Debatten und Themen unserer Zeit erlangen oder diesen erweitern wollen und keine Lust auf Sachbücher haben. Und für alle, die gute Romane lieben.

Brit Bennett, Die verschwindende Hälfte, Rowohlt Verlag 22 Euro
Mithu Sanyal, Identitti, Hanser Verlag, 22 Euro