In der Psychiatrie: Tove Ditlevsens Roman „Gesichter“

Die ersten drei autofiktionalen Romane Ditlevsen sind 2021 als „Kopenhagen-Trilogie“ neu erschienen und waren einfach grandios. Während „Kindheit“ auch noch heitere Momente enthielt, war „Abhängigkeit“ schon schwerer auszuhalten. „Gesichter“ toppt auch dieses Buch und man sollte es nur lesen, wenn die seelische Verfassung das zulässt.

Die fiktive Autorin, Lise Mundus, unternimmt einen Selbstmordversuch und liefert sich selbst in eine Klinik ein. Dort wird sie nach einem „Ausraster“ gleich in die geschlossene Abteilung verlegt und dort wiederum in einem Badezimmer untergebracht. Aus den Lüftungsschlitzen und dem Kopfkissen spricht ihre Haushälterin, ein junges Mädchen namens Gitte zu ihr, sie hört auch andere Stimmen und traut niemandem über den Weg.

„Lise starrte das Glas an und spürte, wie der Durst an ihren Eingeweiden riss. Am Boden setzte sich etwas Dunkles ab, und plötzlich wusste sie, dass Gift drin war. […] „Ich bin nicht durstig“, sagte sie und schaffte es kaum, ihre trockenen Lippen voneinander zu lösen. „So leicht werdet ihr mich nicht los, Gitte.“ Wütend blickte sie in das selige, selbstzufriedene Gesicht, das aussah, als wäre es mit unsichtbaren Nadeln an der Haube befestigt.“

Ihrem Mann Gert unterstellt sie ein Verhältnis mit Gitte, Grete, die ehemalige Geliebte Gerts, hatte sich umgebracht. Lise meint nun, dass Gert und Gitte auch sie in den Tod treiben wollen. Erschütternd zu lesen, wie Gitte ihr scheinbar androht, dem kleinen Sohn Sören Schwefelsäure ins Gesicht schütten zu wollen, wenn nicht Lise sich entschließt, Gitte zu lieben. In den Gesichtern der Klinikangestellten glaubt sie Gitte und Gert wieder zu erkennen und erstarrt schier in Angst vor den Beiden-

Ditlevsen erzählt in der dritten Person und doch liest sich die Geschichte, als ob Lise selbst uns alles berichtet, was in ihrem Kopf vor sich geht. Wahres und Wahnhaftes gehen ineinander über. Insbesondere die wahnhafte Sorge, jemand in der Klinik könne sie als die Autorin erkennen, die sie im wahren Leben ist, eine erfolgreiche, ausgezeichnete Kinderbuchautorin nämlich, treibt Lise um. Sie meint, dann würde herauskommen, dass sie eigentlich gar nichts kann und den Erfolg ganz zu Unrecht hat. Diese Sorge und auch die wahnhaften Episoden teilt Lise mit der Autorin, die Lise immerhin den Nachnamen Mundus gegeben hat, den Mädchennamen der Mutter Ditlevsens.

Die autobiografischen Züge sind unverkennbar und die Tragik des Lebens der Autorin auch hierin so ergreifend beschrieben, dass ich es jeder und jedem empfehle, der oder die die Kopenhagen-Trilogie gern gelesen hat.

Tove Ditlevsen, Gesichter, übertragen aus dem Dänischen von Ursel Allenstein, Aufbau Verlag, 20 Euro