Alles drin, alles dran – der neue Roman „Über Menschen“ von Juli Zeh ist ein Corona-Roman, der viele Themen aufgreift.
Stadt-Land (wieder Brandenburg) Corona, Meinungskulturen, George Floyd und die Nazis vom Dorf, auch der freundliche AFD-Wähler von nebenan fehlt nicht. Dafür gibt es keine Freundinnen, Frauen generell sind unsichtbar in dem Dorf Bracken, in das die Hauptperson Dora in Juli Zehs neuem Roman zieht. Allenfalls in einer Nebenrolle erscheint weibliches Personal, aber auch dies eher als personifiziertes Beispiel des Elends der auf dem Lande vergessenen Schicksale. Diese Rolle teilen sich Frauen allerdings auch mit den meisten auftretenden Männern, die ebenfalls eher wie Erfüllungsgehilfen wirken zum Beweis, dass die Autorin „Bescheid weiß“. Sie kennt die Zeitläufe, die Dramen, die durch Corona und den Lockdown entstanden sind, weiß Bescheid über die Gründe, warum Menschen, auch scheinbar ganz normale, AFD wählen und schildert den Leserinnen und Lesern am Beispiel Doras, dass auch die Leute auf dem Lande Menschen sind, vielleicht mehr noch als die politisch korrekten „Übermenschen“, die sich in Berlin als was Besseres betrachten, die wissen, was wirklich wichtig ist. Das bleibt natürlich alles nicht so stehen im Roman von Juli Zeh, sondern wird ordnungsgemäß ironisch gebrochen und hinterfragt. Auch in dieser Brechung leuchtet Korrektheit hindurch, denn gebrochen werden muss die Szenerie natürlich, um Fragen zu stellen oder aufzuwerfen, die aber dann auch gleich irgendwie alle beanwortet werden durch die Entwicklung, die Dora durchmacht.
Am Ende wartet eine, durchaus bejahenswerte, Erkenntnis, die gleich nochmal das Liebesleben und das Lebensgefühl der Mittdreißiger unter die Lupe nimmt. Und ja, der Roman ist unterhaltsam, er beobachtet bewunderswert genau, ist stellenweise auch wirklich witzig, es ist alles drin und Juli Zeh kann schreiben, das steht fest. Sie schafft es, vielen Themen, die aus unserer Zeit sind, eine Form zu geben, sie zu benennen und in der Darstellung der Personen gegebene Meinungen und absolute Wahrheiten bildhaft in Frage zu stellen. Ja, man kann schwul leben und trotzdem AFD wählen, man kann als „Dorfnazi“ „Pflanzkanacken“ angreifen und dennoch ein hilfsbereiter Nachbar und liebender Vater sein und man kann als Werbetexterin Dora, die als Städterin eigentlich auf der Seite der „Richtigen“ steht, echte Freundschaftsgefühle für einen Nazi entwickeln.
Es wird aber eben auch alles gesagt, beschrieben und ausgesprochen, erkannt und in Frage gestellt, es werden viele Klischees bedient und das macht das Buch teilweise auch recht vorhersehbar.
Dennoch: gute Unterhaltung.
Juli Zeh, Über Menschen, Luchterhand Verlag 22 Euro