Ein Wochenende mit Tove Ditlevsen

Nun sind die weiteren beiden Teile aus der Kopenhagen-Trilogie von Tove Ditlevsen erschienen, „Jugend“ und „Abhängigkeit“, und wieder bin ich einen Sog geraten, der mich zwang, den letzten Teil in einer Nacht zu Ende zu lesen.
Während „Jugend“ in Teilen noch recht unbeschwert daher kommt, ist „Abhängigkeit“, wie der Titel vermuten lässt, deutlich schwerer verdaulich. Das liegt auch daran, dass Tove Ditlevsen ihre Lebenssituationen so sehr knapp und lakonisch chronologisch erzählt. Wir eilen mit ihr durch das vergangene Leben einer Person, der sie selbst nur ganz wenige, kurze Reflektionen zugesteht und die dadurch wie ein Mensch wirkt, der eigentlich, wie schon in ihrer Kindheit, irgendwie unsichtbar bleibt. Bereits in „Jugend“ ist das Schreiben ihr Moment der Lebendigkeit. All die Stationen, die sie beruflich einnimmt, die Armut, die Menschen, die sie kennenlernt und die allmähliche Abnabelung von ihrer Familie werden ohne Ausschweifungen erzählt. Auch ihre vielen Beziehungen und drei Ehen, später vier, durchläuft sie immer mit Blick auf den Moment, in dem sie schreiben kann und die Welt um sich herum vergisst. Die Schwangerschaft erscheint wie ein für Frauen nun mal vorgesehenes Ereignis, die Beziehung zu ihrer Tochter ist später allerdings liebevoll und zugewandt, von Freude getragen, auch wenn sie weiterhin beim Schreiben die Welt um sich herum vergisst. Ihre erste Ehe ist aus heutiger Sicht ganz unvorstellbar, gleichzeitg überrascht die sexuelle Freizügigkeit und auch die Tatsache, dass viele Frauen im Umkreis Toves Berufe hatten und arbeiten gingen. Wir befinden uns ja in den 1940er Jahren. Es gibt natürlich auch immer wieder Hinweise auf die Auswirkungen der deutschen Besatzung in Dänemark und den Krieg. Dies spielt aber alles nur eine kleine Nebenrolle, wesentlich ist das Leben Toves, das sich zwischen diesen äußeren Gegebenheiten abspielt und uns dennoch alles vorenthält, was an inneren Vorgängen doch da sein müsste. Und diese gibt es auch, nur bleibt die Aufgabe, hinter den Worten das Gefühlte zu erkennen, allein bei den Lesenden. Indirekt wird Tove durch ihr Verhältnis zu den Männern etwas deutlicher und als Person kenntlich, doch auch das bleibt spärlich.

In „Abhängigkeit“ wird Tove durch eine einzige Schmerzmittelspritze so stark mit der inneren Sehnsucht nach Leichtigkeit und Glück konfrontiert, dass sie fortan ausschließlich danach strebt, diesen Zustand wieder zu erleben. Die Schilderung des Weges in den Abgrund der Sucht ist gerade wegen des erwähnten lakonischen Stils schwer erträglich. Hinter jedem Satz lauert ein Abgrund, jeder Satz lässt die Tove aus „Kindheit“ aufscheinen, die keine verlässliche Liebe und Zuwendung bekam und sich unsichtbar machte, um wenigstens das Glück der Mutter am Morgen genießen zu können und es nicht durch Anwesenheit zu zerstören. So wie Tove in die Sucht gleitet, wird auch die Lesende süchtig nach dem Weiterlesen und einer Erlösung aus dem Schmerz, den diese Geschichte unweigerlich bewirkt.

Am besten alle drei nacheinander lesen!

Zum Foto: Sie sehen vorne ein antiquarisch erworbendes Buch und zwar von eben dieser Autorin das Jugendbuch „Als Anneliese dreizehn war“. Dieser Roman ist eine wunderbare Ergänzung zur Kopenhagen-Trilogie. Dithlevsen schreibt hier durchaus weniger knapp und wir erfahren einiges über das Gefühlsleben der jungen Anneliese. Auch dieser Roman ist höchst spannend geschrieben und wirkt auf mich kaum wie ein ausschließliches Jugendbuch. Es wundert mich gar nicht, dass Tove Ditlevsen so eine gern gelesene Autorin in Dänemark war.

Tove Ditlevsen
„Kindheit“
„Jugend“
„Abhängigkeit“
Aufbau Verlag, jeweils 18 Euro, übersetzt von Ursel Allenstein