Monika Helfers im vergangenen Jahr erschienes Buch „Die Bagage“ erzählte von ihrer Mutter Grete, die während des ersten Weltkriegs zur Welt kam und von der behauptet wurde, der Vater der Geschwister sei nicht auch ihr Vater. Eindringlich zieht Helfer die Lesenden in die Welt der ausgestoßenen, am Rande eines Vorarlberger Bergdorfes unter ärmlichen Bedingungen lebenden Familie, eben der Bagage, dessen Mutter als eine Schönheit galt. Diese Schönheit wird ihr zum Verhängnis in der Behauptung, Grete könne nur von einem anderen Mann sein, denn der Eigene sei ja nicht zugegen gewesen zum Zeitpunkt der Empfängnis. Es bleibt offen, ob dies nicht doch möglich war durch einen kurzzeitigen Fronturlaub des Vaters – um so grausamer wirkt der Vater in seiner Weigerung, jemals mit dieser Tochter zu sprechen.
In „Vati“ geht es um den Vater Helfers, also den Mann eben jener Grete. Ein vom Schicksal Gebeutelter, der aus dem Krieg mit nur einem Bein zurückkehrt und den Traum eines naturwissenschaftlichen Studiums aufgeben muss. Monika Helfer schildert ihre eigene Kindheit, die geprägt ist vom Arbeitsleben des Vaters, der über Jahre hinweg als Verwalter eines Kriegsopferversehrtenheimes „oben auf dem Berg“ herrscht. Dieser Teil der Kindheit wirkt idyllisch, familiär harmonisch und birgt doch Abgründe, die sich in der Mutter, Grete, offenbaren und in der Büchersucht des Vaters. Am Ende sorgt eben diese für einen Bruch in Helfers Kindheit. Wieder arbeitet Helfer mit knappen Mitteln, in beinah skizzenhaften Sätzen werden gesellschaftliche Bedingungen deutlich und Personen in ihrer Besonderheit erfasst. Dennoch „füllt“ die Autorin auf, was sie mutmaßlich nicht wissen kann, schafft behutsam Verbindungen zwischen dem einen und dem anderen, deutet logische Verknüpfungen an. Stark ist auch der Teil, in dem die Familie bei der Verwandtschaft unterkommt, die mit fünf Personen in einer Drei-Zimmer-Wohnung lebt und dazu nun noch drei weitere Jugendliche aufnimmt – es ist eben Familie. Da wird die Nachkriegszeit mit all den Einschränkungen sehr fühlbar. Die Rückgriffe auf die Vergangenheit sind wie kleine Punkte, hinter denen sich eine ganze Welt verbirgt, die wir, die Lesenden, mitdenken dürfen, nein, eher noch mitfühlen dürfen.
„Vati“ hat mich noch mehr gepackt als „Die Bagage“, unbedingt lesen.
Carl Hanser Verlag, 20 Euro