Neues aus Norwegen: „Die Welt, die meine war“ von Ketil Björnstad

Nun ja, eben noch haben wir Karl Ove Knausgards Romane aus seinem Leben verdaut, da schickt sich ein weiterer Norweger an, uns sechs Jahrzehnte seines Lebens in jeweils einem Roman zu erzählen. Der erste Band von „Die Welt, die meine war“ berichtet aus dem Leben des jungen Ketil Björnstad in den Sechziger Jahren.

Aber: dieser 800 Seiten – Wälzer macht Freude. Björnstad ist ein Erzähler, der auch einen biografischen, konventionell chronologisch erzählten Stoff spannend verpackt.

Der siebenjährige Ketil begrüßt das neue Jahrzehnt zusammen mit seiner Lieblingstante Svanhild, Bruder Tormod und seinen Eltern. Die Zeit ist eine so andere als die heutige, das wird bereits eingangs daran deutlich, dass die Familie keinen Fernseher hat und auch keinen Kühlschrank. Aber warmherzig und lebendig geht es zu bei Björnstads – so lebendig, dass Ketil stets Angst hat, die Eltern könnten sich trennen, wenn die beiden sich einen Schlagabtausch liefern. Überhaupt: Ketil ist ein ängstliches, fast phobisches Kind, das unter vielem leidet, viel fühlt und viel denkt. Daneben lernen wir ihn als einen Jungen kennen, das schon mit sieben Jahren an der Bushaltestelle mit seinem hochbegabten Freund Mats die politschen Ereignisse debattiert. Die Erzählperspektive wechselt stets zwischen Ich-Perspektive und Dritter Person, was der Erzählgeschwindigkeit zugute kommt.

Mit seinem Freund Sverre verfolgt er die erste Mondlandung der Sowjets.

“ Sverre und ich waren begeistert von diesem Flug. Zu dieser Zeit wollten wir beide Wissenschaftler werden. Deshalb war die Freude groß, als unsere Elternpaare uns beiden glaubten, dass wir seriöse Raumforscher waren. Jetzt mussten wir die Überlebensmöglichkeiten von weißen Stadtmäusen in Vororten wie Røa und Eiksmarka testen. Hatten sie überhaupt eine Chance? (..) bald hatte sich in den Raumfahrtzentren Røa und Eiksmarka eine ganze Kolonie von eifrigen und intelligenten Tieren versammelt.“

Die Ereignisse des Jahrzehnts beschreibt Björnstad faktenreich und dennoch stets mit dem Erleben des kleinen Ketil verknüpft, so dass nur selten das Gefühl aufkommt, ein Lexikon werde zitiert. Björnstad ist eben ein Romancier, der erzählen kann. Und natürlich freute ich mich umso mehr, als Ketil sich in Richtung Pianist, der er ja auch ist, bewegt und erkennt, was seine Ziele sind. Das ist in der Mitte des Buches gar nicht so abzusehen, denn der Junge zieht sich aus dem Leben zurück, wird immer dicker und weiß nicht, wohin es gehen soll. Diese Phase der Pubertät schildert Björnstad mit einer besonderen Intensität, es scheint, als könne er sich an Zeit noch sehr gut erinnern.

Ich habe mich begeistert durch die vielen Seiten gelesen und freue mich schon sehr auf den nächsten Teil – die Siebziger, da kann ich dann richtig mitreden.

Ketil Björnstad, Die Welt die meine war – die Sechziger Jahre, Osburg Verlag, 26 Euro