Gastbeitrag von Nicola Nehmzow, Pastorin in Lübeck zu Tine Hoeg „Hunger“

Da hat Prosa-der Buchladen großes Glück: der Bitte um eine Rückmeldung zu diesem Buch kam Pastorin Nicola Nehmzow überraschend umfassend nach und hat mir nun auch erlaubt, den Text hier einmal in den Blog zu setzen. Ich hatte viel Freude beim Lesen des Textes, die ich Ihnen ebenfalls wünsche, und: das  Buch ist natürlich vorrätig.

“ Der Roman „Hunger“ ist ein in mehrerer Hinsicht herausragendes Buch.

Tine Hoeg nimmt die Lesenden mit auf eine existenzielle Reise durch neun Monate ihres Lebens, in denen sie vergeblich versucht, mit Hilfe von verschiedenen Methoden in zwei verschiedenen Fruchtbarkeitskliniken schwanger zu werden.
Ihre Sprache ist knapp und gleichzeitig von großer Tiefe.
Neun Monate führt sie diesen Dialog mit sich und den Lesenden und implizit auch mit ihrem Partner. Diese „dritte Ebene“ hilft ihr bei der Verarbeitung und belastet gleichzeitig ihren Partner, der zwar zugestimmt hat und unterstützend sein will und sich gleichzeitig schwer tut mit dieser Öffentlichmachung. Die Begrenzung auf die Länge einer Schwangerschaft hilft ihm, diese Ambivalenz auszuhalten.
Mia und Emil lieben sich- keine Frage. Tine Hoeg schafft es, diese Liebe in allen Höhen und Tiefen transparent darzustellen. Das geschieht schonungslos offen und ehrlich, wird aber nie peinlich oder wertend.
Tine Hoeg zitiert zum Ende „Das Ereignis“ von Annie Ernaux und gleichzeitig überführt sie die Gattung der autobiographischen Fiktion in eine neue Generation.
Das Buch ist feministisch und zutiefst menschenliebend in Hinsicht auf die Verschiedenheit der Geschlechter.
Die Themen Körper, Alter, Kinderwunsch und deren Erfüllung, die Ambivalenz des Mutter- Seins und -Werdens werden in großer Bandbreite dargestellt. Den Begriff der Liebe fächert sie auf und zeigt anhand ihrer Beziehung zu den Kindern ihres Partners aus erster Ehe, wie kostbar, reich und gleichzeitig schwierig Liebe ist. Tine Hoeg beschreibt auch hier und wertet nicht.
Unbedingt lesen, ein großer Gewinn!“ 

Tine Hoeg, „Hunger“, Ü Gerd Weinreich, Literaturverlag Droschl, 26 Euro