Ein Preis der Leipziger Buchmesse geht an Kristine Bilkau „Halbinsel“

Und dieses Mal kann ich dem aus vollem Herzen zustimmen: dieses Buch ist absolut gelungen – sprachlich höchst präzise und inhaltlich weit gespannt bietet der Roman ein zeitgenössisches Bild von Mutterschaft und selbstbestimmtem Leben.

Erzählt wird aus der Perspektive von Annett, die in einem kleinen Dorf im Nordfriesischen lebt und arbeitet. Ihre Tochter Linn, die sie nach dem frühen und tragischen Tod des Vaters allein durch Kindheit und Jugend begleitet hat, ist nach dem Abitur in die Welt gezogen und mit nun 24 Jahren eine erfolgreiche Umweltwissenschaftlerin, die in einer Firma tätig ist, die sich jedoch als Greenwashing-Unternehmen entpuppt. Eines Tages bricht sie mit einem Kreislaufkollaps bei einem Vortrag zusammen und quartiert sich nach einem kurzen Krankenhausaufentalt bei ihrer Mutter, zunächst für eine Woche, ein.

Kristine Bilkau greift in diesem Buch viele Themen auf: die Leistungsgesellschaft, Wünsche von Eltern an ihre Kinder, Leistungsdruck der Nachgeborenen vor dem Hintergrund einer Welt, die kaum noch veränderbar scheint durch das Engagement des Einzelnen, das Besondere einer Mutter-Tochter-Beziehung. Diese Themen verflicht sie extrem elegant mit der Geschichte der beiden Protagonistinnen, nichts wirkt aufgesetzt oder noch mal eben hineingenommen, damit Aktualität behauptet werden kann. Wer selbst Kinder hat, womöglich, so wie ich selbst, Mutter einer erwachsenen Tochter ist, kann die zeitweise Sprachlosigkeit, das gegenseitige Ringen um Verständnis, die Trauer um die vergangene Kinderzeit, die auch jetzt noch vorhandene Nähe und Liebe sehr gut nachvollziehen.

Linn bleibt länger, kommt dann ganz wieder zurück, richtet sich ein Leben ein in dem kleinen Dorf, was Annett mit gemischten Gefühlen beobachtet. Einerseits genießt sie die unverhoffte Nähe mit Linn, andererseits ist sie besorgt, dass diese ihre Talente, ihre gute (und von Annett finanzierte) Ausbildung einfach so aufgibt und nur noch in der örtlichen Bäckerei arbeitet.  Ihr Verhältnis muss ganz neu ausgelotet werden, wie kann das gehen? Kristine Bilkau lässt Annett norddeutsch-spröde denken und verkneift sich jegliche Romatisiererei. Annett muss sich von alten Bildern lösen, sie darf auch von ihrer Tochter lernen, die sich dem vorgegebenen Weg aus guten Gründen entzieht. Annett lernt, Vertrauen in die eigene Tochter haben und sie lernt von ihr, dass es wichtig ist, sich selbst zu sehen und ins Leben zu gehen, ohne zu schauen, ob dies denn wohl für andere in Ordnung ist. Davon erzählt dieser schöne Roman, dem ich viele Leserinnen und Leser wünsche.

Kristine Bilkau, „Halbinsel“, Luchterhand Verlag, 24 Euro