Die Vorfreude war riesengroß und ich wurde nicht enttäuscht. Das neue Buch von Annie Ernaux ist wieder ein ganz großartiges, beeindruckendes und nachwirkendes Leseerlebnis.
Ernaux schildert in diesem Text ihre eigene Abtreibung im Frankreich der 1960er Jahre. Sie nutzt dabei Fotografien und Tagebücher, um dem Erleben in dieser Zeit so nah wie möglich zu kommen. Das Buch ist in Frankreich bereits im Jahr 2000 erschienen und liegt nun in einer sehr präzisen Übersetzung von Sonja Finck vor.
Ungewollt schwanger sucht die junge Studentin Annie eine Möglichkeit zur Hilfe und gerät nur an abweisende, überhebliche Ärzte, die ihr keine Unterstützung anbieten können oder wollen. Schließlich landet sie bei einer „Engelmacherin“ und stirbt fast an den Folgen des Eingriffs. Das Ende des Mädchenseins, der Eintritt in eine Welt ohne die jugendliche Leichtigkeit und Gewissheit, dieses Ergebnis wird überdeutlich in der Schilderung der Monate, die vergehen, bevor die Auswirkungen der ungewollten Schwangerschaft scheinbar überwunden sind. Die Gleichgültigkeit der Umgebung, die Notwendigkeit einer Abtreibung nur deshalb, um nicht alles zu verlieren, was sich Annie, aus ärmlichen Verhältnissen stammend, erarbeitet hat, weist auf die gesellschaftliche Situation der Zeit. Es war nicht vorgesehen, einer studierenden Mutter die Unterstützung anzubieten, die notwendig ist, um beides unter einen Hut zu bringen. Aber Hilfe gibt es auch keine. Dieses Ereignis, das bis heute nachhallt, findet in diesem Buch den ihm gemäßen Raum.
Annie Ernaux, Das Ereignis, Suhrkamp Verlag, Übertragen aus dem Französischen von Sonja Finck