Ein ergreifendes Buch, das Annie Ernaux in wenigen Monaten nach dem Tod ihrer Mutter geschrieben hat. Ich schrieb hier bereits über das Buch „Die Jahre“, in dem Ernaux ihre Form der Verknüpfung des eigenen Lebens mit dem der Gesamtgesellschaft zur Meisterschaft brachte. In „Eine Frau“, einem vergleichsweise kurzen Roman, hält die Autorin Rückschau auf das Leben der eigenen Mutter in der Zeit, in der diese hineingeboren wurde. Das Verhältnis der Tochter zur Mutter erklärt sich aus dem Erleben dieser und den Vorgaben der Zeit. Das Ergreifende für mich war die Trauer, die Ernaux trotz des zu Lebzeiten durchaus schwierigen Miteinanders ergriffen hat und die Gefühle, die sie beschreibt, als ihre Mutter immer gebrechlicher und damit auch zuwendungsbedürftiger wurde. Der Endlichkeit gibt Ernaux Raum und fasst dies in kurzen Sätzen und Beschreibungen, die keines Kommentars bedürfen. Das ist für mich das Beeindruckende an dem Schreiben von Annie Ernaux.
„Eines Tages begann ich ihr das Haar zu bürsten und hörte dann wieder auf. Sie sagte: „Ich mag es, wenn du mich frisierst“. Von da an bürstete ich es ihr immer. … Sie redete über Geld, über Kunden, warf lachend den Kopf in den Nacken. Das waren Gesten, die immer typisch für sie gewesen waren, Worte, die sie ein Leben lang begleitet hatten. Ich wollte nicht, dass sie starb. Ich hatte das Bedürfnis, sie zu füttern, zu berühren, ihr zuzuhören.“
Annie Ernaux, Eine Frau, Suhrkamp Verlag, 18 Euro