Gleich drei aktuelle Romane beschäftigen sich mit dem Thema (sexualisierte) Gewalt – alle drei hallen lange nach, allein deshalb, weil die Thematik wirklich schwer auszuhalten ist und auch, weil alle drei auf eine Weise geschrieben sind, die erst nach und nach das Furchtbare enthüllt. Sie verzichten in der Beschreibung der Beziehungen auf das Plakative und weisen so darauf hin, dass die meisten Fälle der Gewalt unter dem Deckmantel des Normalen stattfinden. Die Betroffenen sind sich des Gewaltpotenzials entweder nicht voll bewusst, weil sie es nicht anders kennen oder, wie bei Deniz Ohde, sie halten es für angemessen, so behandelt zu werden, da sie es „nicht anders verdient haben“. Warum?
In „Ich stelle mich schlafend“ wird in der Beschreibung des Handelns von Vito zwar deutlich, dass da jemand vielleicht zu viel Kraft anwendet, aber das Zwingende daran wird gar nicht benannt. Die Struktur Vitos zeigt Ohde in, manchmal abgebrochenen, Sätzen, die die Lesende dazu auffordern, diese weiterzudenken und gleichzeitig zu begreifen in ihrer inhaltlichen Aussage. Diese Schreibweise hat Deniz Ohde bereits in ihrem Debütroman „Streulicht“ angewendet, der ebenfalls in feiner, manchmal vager Weise und dadurch um so eindrücklicher die Lebenswelt der sogenannten Gastarbeiter und vor allem deren Kinder ausleuchtet. Das Unterschwellige gilt es zu entdecken in seiner enormen Wirksamkeit und in seiner allgegegenwärtigen Realität im Leben der Protagonistinnen.
In „Ich stelle mich schlafend“ ist Yasemin diejenige, die bereits durch einen „Willensbruch“ gezeugt wurde: die Mutter betrunken, dem Vater ist dies egal, sie heiraten aus Zwang und Yase ist es schon mitgegeben, dass „Willensbruch“ stattfindet. Ihr geringes Selbstwertgefühl geht über in Selbsthass, der erst spät im Roman auch durch Formen der Selbstbestrafung deutlich gemacht wird. Yase meint als Anfang Zwanzigjährige, auf eine Weise sein zu müssen, zu Willen sein zu müssen, durch sexualisierte Zuwendung dem jeweiligen Mann etwas geben zu müssen – einfach, weil sie nichts wert ist. Bis sie dahin kommt, lässt sie ihre erste große Liebe Vito nach ausufernder Schwärmerei gehen, sie ist mit 14 Jahren zu jung für den drei Jahre Älteren und außerdem nach einem Reitunfall mit ihrem Körper nicht im Guten verbunden. Zwar lässt die Autorin Yase mit Hermann erstmal in einem befriedeten Leben ankommen, nach Jahren der oben beschriebenen Unterwürfigkeiten, doch dann trifft sie Vito wieder und ist es selbst, die sich zurückbeamt in eine frühere Zeit, einen jüngeren Körper, als ob es die „guten Zeiten“zu sühnen gelte. Das Versteckte ist bei Yase ihre Haltung sich selbst gegenüber, die Meinung, sie habe Frieden und Geliebtwerden gar nicht verdient. Das Versteckte in der Gesellschaft erzählt Ohde mit schmerzhafter Beiläufigkeit in der Formulierung der Grauzonen zwischen Sex und Gewalt: Lydia, der Wahlmutter Yases, wurde „eingebläut, dass der Wunsch des Mannes in Wirklichkeit auch der ihre sei“, so wie Yasemin später übte, Berührungen zu wollen, damit ihr Wille nicht gebrochen werden konnte. Diese Zwischenzonen sind es, die den Roman so erschütternd machen.
Die Gewalt Vitos eröffnet Yasemin jedoch letztlich einen Ausweg und einen Weg zu sich selbst, so endet das Buch immerhin versöhnlich. Der Weg dahin jedoch verwundet auch die Lesenden.
Großartig!
Terézia Mora schrieb im vergangenen Jahr in „Muna oder die Hälfte des Lebens“ die Verstrickung in eine gewalttätige Beziehung noch intensiver und für die Lesenden klar, für Muna jedoch lange nicht bewusst wahrnehmbar. Siehe auch https://prosa-buchladen.de/nominiert-fuer-den-deutschen-buchpreis-2023-terezia-mora-muna-oder-die-haelfte-des-lebens/
Ganz aktuell ist auch der Roman „Geordnete Verhältnisse“ von Lana Lux. Erzählt wird die Geschichte von Philipp und Faina, die sich in der Schule begegnen. Philipp, der Außenseiter mit den Wutanfällen und Faina, die aus der Ukraine Eingewanderte, die schlecht deutsch spricht und derer Philip sich annimmt. Schnell zeigt die Beziehung kontrollierende Züge. Die beiden werden trotz Philipps Asexualität später ein Paar, Faina trennt sich jedoch und Philipp lebt mit einer anderen Frau. Als Faina schwanger vor seiner Tür steht, beschließen die Beiden, das Kind gemeinsam groß zu ziehen. Immer obsessiver verfolgt und kontrolliert Philipp Faina, die das zwar merkt, aber zunächst keinen Weg findet, sich aus dieser Beziehung zu lösen. Die Geschichte liest sich fast gruselig, denn Philipps dargestellte Gedankenwelt zeigt das Verkehrte in seinem Verständnis von Beziehung, aber gleichzeitig sind diese Gedanken auch nicht vollkommen falsch- die Gleichzeitigkeit dieser Wahrnehmung ist es, die den Roman so faszinierend macht.
Alle drei Bücher erschaffen ein je unterschiedliches Bild von Gewalt, wie sie auch ist, wie sie auftritt, jenseits der Prügelei auf der Straße, des sichtbaren körperlichen Ausdrucks, des stumpfen Ignorierens eines „Nein“. Die Zwischentöne werden in allen drei Romanen herausgearbeitet und machen deutlich, wie und auch warum Gewalt ganz leise Einzug hält.
Deniz Ohde „Ich stelle mich schlafend“, Suhrkamp Verlag, 25 Euro
Terézia Mora „Muna“, Hanser Verlag, 25 Euro
Lana Lux „Geordnete Verhältnisse, Hanser Verlag, 23 Euro