Norbert Scheuer war mit diesem Titel für den Deutschen Buchpreis 2019 nominiert. Etliche Kunden und Kundinnen haben bereits geschwärmt und mich aufgefordert, dieses wunderbare Buch zu lesen. Nun habe ich es geschafft und bin sehr froh, dieser Aufforderung nachgekommen zu sein.
In Tagebucheinträgen begleiten wir den Protagonisten Egidius Arimond durch das Jahr 1944/45. Egidius lebt in der Eifel, die zunehmend in den Krieg hingezogen wird, die Fliegeralarme werden immer mehr im Laufe des Jahres und das Leben ist geprägt von Zerstörung und Bedrohung. Egidius ist als Epileptiker vom Kriegsdienst befreit, was ihn vor Gefahren aber nicht rettet. Ein Epileptiker gilt als Volksschädling und die Beschaffung des für ihn lebensnotwendigen Medikamentes wird immer schwieriger. Der örtliche Apotheker, ein Nazi erster Güte, nutzt Egidius´ Notlage aus und verlangt immer mehr Geld für das Luminal. Egidius besorgt sich dieses, indem er Jüdinnen und Juden in Bienenstöcken über die Grenze ins nahe Belgien bringt. Damit hat Egidius schon zwei große Gefahren für sein Leben – dazu kommen nun noch seine „Frauengeschichten“. Egidius dokumentiert täglich seine Arbeit mit den Bienen und vermerkt auch seine anderweitigen Aufgaben und Tätigkeiten. Wir begleiten ihn in die Natur, sowohl zu den Bienen als auch in die hügelige und geheime Welt des Urfttals, wo Egidius auch seine Flüchtlinge versteckt. Er schreibt knapp und manchmal fast stichwortartig, so dass die Schrecken und die Gewalttätigkeit, die den Ereignissen innewohnen, leicht in den Hintergrund zu treten drohen. In der Knappheit liegt aber auch der große Reiz dieses sehr lesenswerten Buches, das durch die Beschreibung der täglichen Routine eine feine Stille ausstrahlt, obwohl es buchstäblich um alles geht. Die Einträge nehmen an Dramatik mit dem Fortschreiten des Krieges enorm zu und gegen Ende des Buches wird es atemlos und wirklich schlimm für den kranken Egidius.
„Ich besuche die Bienen, lege wieder mein Ohr an ihre Stöcke und höre sie ganz leise summen, jeder Stock mit einer anderen, eigenen Melodie. Ihnen geht es gut, die Bombenangriffe scheinen sie überhaupt nicht zu stören“, S.247
Sehr spannend sind neben der Schilderung der Kriegsgräuel die vielen Informationen über Bienen und ihr Leben. Winterbienen zum Beispiel sind die Bienen, die durch Flügelbewegungen den Bienenstock warm halt und, wenn die Temperaturen steigen, Erkundungsflüge unternehmen, um zu prüfen, ob die Welt warm genug ist für die Sammelbienen. Der Gegensatz zwischen den in und für die Gemeinschaft lebenden Bienen, der Verantwortung der einzelnen Biene, zum Geschehen in dieser Zeit in Europa könnte nicht größer sein.
Ein sehr lesesnwerter Roman, der auf ganz neue Weise den Krieg, seine Schrecken und die Menschen in Zeiten der Diktatur thematisiert.
Norbert Scheuer, Winterbienen, C.H. Beck, 22 Euro