Noch ein Titel der Shortlist zum Preis der Leipziger Buchmesse: Ingo Schulze, Die rechtschaffenen Mörder

Es folgt der dritte Titel der Liste zum Preis der Leipziger Buchmesse: Ingo Schulze erzählt hier aus drei verschiedenen Perspektiven von Norbert Paulini, einem legendären Antiquar und Buchliebhaber aus Dresden. Der Anfang kommt gemütlich daher und erzählt vom Aufwachsen und Großwerden Paulinis. Die Sprache ist knapp, aber fein, ein Wohlfühltext, der aus einer anderen Zeit berichtet. Fast unmerklich ändert sich der Fokus und die ersten Irritationen ob des Handelns Paulinis schleichen sich ein. Dann kommt schon die nächste Erzählperspektive, aus Sicht des Autors Schultze (mit „t“…), der einen Roman über Paulini und dessen Leben schreiben will. Und zum Schluss hören wir die Stimme der Lektorin des Autors Schultze (mit „t“). Alle drei verfolgen eigene Interessen, so dass der Weg Paulinis in die rechtsradikale Szene gar nicht so leicht erkennbar ist. Aber genau darum geht es: wie werden ehrbare, aufgeklärte, gar bildungsgesättigte Menschen Opfer der rechten Bauernfänger?
Paulini ist ein extremer Buchnarr, weiß unendlich viel und ist jemand, der unberirrt seinen Weg geht. Bis zu einer gemeinen Liebesgeschichte ist er sympathisch, erst allmählich schleichen sich Verhaltensweisen ein, die ihn in einem anderen Licht erscheinen lassen und die Extremität in Bezug auf Bücher als Charaktereigenschaft auch in anderen Themen zeigen. Beispielsweise bschließt er irgendwann, nur noch deutschsprachige Autoren und Autorinnen in sein Antiquariat aufzunehmen. Hier ist der erste Punkt, an dem ich stutzte, jedoch weitet Schulze das nicht aus, sondern lässt es als Mitteilung stehen und überlässt es den Lesenden, aus dieser Information Schlüsse zu ziehen. Schulze schreibt geschickt und fordert bei aller Wohlfühlformulierung das Mitdenken der Lesenden ein. So haben wir es nicht nur mit subjektiven und damit unzuverlässigen Erzählstimmen zu tun, sondern auch mit Ansprüchen an die Lesenden von seiten des Autors. Spannend ist auch der Erzählton in Verbindung mit den Wirren der Wende und dem Einzug der neuen Zeit. Die Wende wird benannt in Form von Ereignissen, und doch fühlte ich mich in einer anderen Zeit beim Lesen, als ob auch Paulini nicht wirklich den Sprung in die Zeit nach der Wende schaffen (soll) und in seiner Überforderung mit dem Zeitenwechsel ein Grund für die Rückwärtswende in eine nationalistische Haltung liegt. Also, es gibt viel nachzudenken beim Lesen dieses Buches.

S. Fischer Verlag, 21 Euro