Elke Schmitter, Inneres Wetter

„Inneres Wetter“ ist ein sehr eloquent geschriebener, höchst lesenswerter Roman, der die Befindlichkeiten der Babyboomer in den Blick nimmt. Anhand einer geplanten Familienzusammenkunft aus Anlaß des 77. Geburtstages des Vaters der drei Kinder schreibt Schmitter aus unterschiedlichen Sichtweisen über die jeweiligen Lebenssituationen der Anfang der 1960er Jahre Geborenen: Huberta, Bettina und Sebastian, dem Jüngsten der drei Geschwister. Schmitter verpackt ihre Beobachtungen in eine so glasklar beschreibende Sprache, dass manche Sätze zwei Mal gelesen werden wollen, um sie ganz erfassen zu können. Besonders stark ist der Roman an den Stellen, in denen es um die Protagonisten selbst geht, um ihr in der Welt stehen und sich mit ihr auseinandersetzen. Der Vater, relativ am Ende des Buches kommt er zu Wort, erweist sich als ein Vater, der seine Kinder sehr genau kennt. Das überrascht, weil diese selbst zuvor sich so zu ihm verhalten, als sei er immer ein abwesender und mit sich beschäftigter Mann gewesen. So zeigt sich, wie krass doch die Wahrnehmungen an der Realität vorbeigehen können, ja müssen, denn über Gefühle wird nicht geredet.
In die persönlichen Leben mischt sich das Nachkriegsdeutschland ebenso wie Kriegstraumata, jedoch bekommt keines dieser Themen ein eigenes Gewicht. Vielmehr bedingen diese die Befindlichkeiten und die Art der Auseinandersetzung sowohl des Paares Sebastian und Mora, einer „dalmatinischen Schönheit“ wie auch die prekäre Lebensituation der Ethnologin Huberta. Von dieser, wohl auf Hartz IV angewiesenen Alleinlebenden, lesen wir u.a. einen Tagebucheintrag, der erschütternd deutlich werden lässt, wie sich gesellschaftliches Abgehängtsein und Einsamkeit anfühlen.
Die Beschreibung der bereits verstorbenen Mutter der drei, Dorothea, lässt diese als exemplarisch für einen Typus Frau erscheinen, der, geboren zum Ende der Naziherrschaft, noch geprägt ist durch den Krieg, diesen aber nicht aktiv erlebt hat. Das Verhalten Dorotheas, die nach jahrelangem Medikamentenmissbrauch zwecks Erhalt der eigenen perfekten Funktionsfähigkeit an Nierenversagen stirbt, beschreibt Schmitter so:
Gewissenhaftigkeit und Perfektion, Halt wie Antreiber in einem, sorgten für immerwährende Bewegung, ein unheimliches Perpetuum mobile mit einem zwergenhaften Pendelschlag“. S. 125
„Doch ihre Verstörung hatte eher etwas Insektenhaftes, ein ruheloses, richtungsloses Trippeln und Tasten auf der Oberfläche einer Frucht, die äußerlich intakt, innerlich verdorben war“. S. 124
Die Pointiertheit der Formulierungen erzeugt eine gewisse Kühle, die wiederum sehr gut das Schweigen und die mangelnde Fähigkeit dieser Generation, das und was man fühlt zu artikulieren, deutlich macht.
Das Verhältnis der Kinder und deren Partnerin/ Partner untereinander wiederum ist geprägt durch das stete Austarieren von Nähe und Distanz. Was geht zu weit, wer muss wie einbezogen werden, wer sollte in Mails in CC gesetzt werden, darf aber auch nicht ganz ausgeklammert werden.
Vielleicht hätte etwas weniger dieser pointierten, ausformulierten Art an den Stellen, wo es um bloße Beschreibung von Äußerlichkeiten geht, dem Buch gut getan. Aber das schmälert das Lesevergnügen und den Mehrwert nach der Lektüre keinesfalls.

Elke Schmitter, Inneres Wetter, C.H. Beck 22 Euro