Dilek Güngör haben sicher einige schon durch ihren wunderbaren Roman „Ich bin Özlem“ kennengelernt, in dem sie sich mit dem Thema Herkunft und der Prägung durch diese auseinandersetzte. Die Widersprüchlichkeit, die sich für die Hauptfigur aus Zuschreibung und eigenem Handeln in einem identitären Raster ergibt, wird in diesem Roman überdeutlich.
In ihrem neuen Buch fahren wir mit der Hauptfigur Ipek zum Vater, der eine Woche alleine zuhause ist. Ipek, in Deutschland aufgewachsen, hatte als Kind eine innige und gute Beziehung zu ihrem eingewanderten türkischen Vater, doch diese ging mit dem Erwachsenwerden und den damit verbundenen Schamhaftigkeiten von seiten des Vaters wie auch ihrer selbst verloren und wich einer Fremdheit, die nicht durch Gespräche geheilt werden kann. So auch bei diesem Besuch. Ipek ringt um die Möglichkeiten, entweder das Schweigen zu durchbrechen oder es einfach als Ausdruck ihrer eigenen Art von Nähe zum Vater zu begreifen.
Die sprachlichen Mittel sind, wie auch beim genannten Vorgängerbuch, schlicht und schnörkellos. Dennoch besticht Güngörs Roman auch hier durch genaue Beobachtung und Wiedergabe des Erlebten, so dass die Lesenden hineingezogen werden in ein Vater-Tochter-Problem, das vermutlich viele erwachsene Töchter betrifft. Daneben, und das hat mir besonders gefallen, verhandelt Güngör auch die Themen Zuwanderung und kulturelle Verschiedenheit. Dies in unaufdringlicher Weise, aber doch so, dass ich beim Lesen einen fühlbaren Eindruck vom Leben türkischstämmiger Menschen in diesem Deutschland, von Sehnsüchten und Prägungen und vor allem auch von Widersprüchlichkeiten und Zwiespältigkeiten erhielt. Das Leben hat wohl entschieden, dass die neue Heimat zur endgültigen wird, auch wenn eine Rückkehr in die Herkunftsheimat eigentlich geplant war. Das Hauptthema ist ein anderes in diesem Roman und doch ist die Verknüpfung wichtig für das Verständnis des Besonderen, das die Beziehung Ipeks zu ihrem Vater prägt.
Dilek Güngör, Vater und ich, Verbrecher Verlag, 19 Euro