Arno Geiger, Die Reise nach Laredo

Es ist wirklich beeindruckend, welche Sprach- und Stilvielfalt Arno Geiger hat.
„Reise nach Laredo“ ist wieder ein vollkommen anderes Buch als sein Vorgänger „Das glückliche Geheimnis“, in dem Geiger über sich selbst schrieb. Und meiner Ansicht nach ist der Autor hier auf der Höhe seiner Schaffenskraft.

In diesem originellen und außergewöhnlichen Buch geht es (vordergründig) um Kaiser Karl V, der 1558 abgedankt hat und allein, krank und verlassen in einem spanischen Kloster vor sich hin vegetiert und grübelt. Der Hof wartet auf sein Ende wie auch er selbst es tut.  Er zieht Bilanz, reflektiert und versinkt in Tagträume, wenn das Fieber ihn wieder packt. Im Garten trifft er eines Nachts auf den elfjährigen Geronimo, dessen Vater er ist, ohne das Geronimo dies wüßte,  und der nun in Karl das Leben wieder weckt. Die beiden brennen durch.
Oder stirbt er und die Reise ist ein Traum? Diese Frage stellt sich am Ende dieses mystischen, allegorischen Romans. Gemeinsam mit einem Geschwisterpaar, Honza wird von Karl vor dem Galgen gerettet,  das den Leiterwagen und das Pferd als Transportmittel besorgt, geht es über Wochen, unterbrochen von einem langen Aufenthalt in einem Gasthaus, nach Laredo.

Allegorisch deshalb, weil die Parallelen zur heutigen Zeit deutlich hervortreten: die Spaltung Europas, damals aufgrund der Religionsfrage, konnte Karl nicht befrieden und auch er überdeckte dies mit Kriegen. Deutlich sowohl im 16. Jahrhundert wie auch heute ist die Umbruchsituation, in der sich die Welt befindet. Das Gasthaus als Ort des des Lasters, des Glücksspiels und der hedonistischen Ausschweifungen, als ob es kein Morgen gäbe – dieses Gasthaus ist in unserer Zeit an verschiedenen Stellen zu finden.

Der Roman erscheint wie  ein Drama aus der Zeit der Aufklärung (Gottsched „Der sterbende Cato“, Lessing „Nathan der Weise“), die Anspruch erhoben auf Besserung und eben Aufkläung des Volkes im Rückgriff auf das klassische Drama als allegorische Abbildung der Wirklichkeit.

Dieses Buch ist unglaublich klug und so außergewöhnlich im Kanon moderner Literatur, dass es  in jedem Lesekreis besprochen werden sollte.

Arno Geiger, Reise nach Laredo, Hanser Verlag, 26 Euro