„Am Himmel die Flüsse“ von Elif Shafak hat mich vollkommen gefesselt. Bezaubert ist eigentlich das richtige Wort, denn der Roman verbindet historische Fakten mit einem fast märchenhaftem Erzählstil. Voller Geschichte und Geschichten bewegt sich Shafak durch die Welt Narins, die mit neun Jahren erleben muss, dass ihre Heimat im ezidischen Dorf am Tigris von Planierraupen bedroht wird. Diese sollen ein Dammbauprojekt der türkischen Regierung durchsetzen, dem etliche ezidische Dörfer zum Opfer fallen werden.
Narins Großmutter will mit ihrer Enkelin ins heilige irakische Lalisch-Tal reisen, um sie dort traditionell taufen zu lassen. Diese Reise gelingt zunächst, mündet jedoch in einer überstürzten Flucht, weil der Islamische Staat in die Dörfer der Eziden eindringt, und die „Ungläubigen“ auf furchtbarste Weise vertreibt.
Kurz vor dem Aufbruch in den Irak stößt Narin auf das Grab eines gewissen Arthur – direkt neben dem ihrer Ururgroßmutter Leila. Die Geschichte dieses Arthur Smyth, des Engländers, der tatsächlich gelebt hat, ist es, die Shafak in einem zweiten Strang erzählt. Ergreifend und bewegend schildert sie den Aufstieg des Jungen aus ärmsten viktorianischen Verhältnissen, der als Autodidakt die Wiederentdeckten Keilschrifttafeln entziffern lernt und so zum Gilgamesch-Epos gelangt. Der dritte Erzählstrang widmet sich der nach England eingewanderten Hydrologin Zaleekhah, die fasziniert die strittige These verfolgt, Wasser habe ein Gedächtnis. Das verbindende Element der drei Geschichten ist das auch im Titel enthaltene Wasser, das Shafak als Tropfen Gestalt annehmen lässt, der die Erinnerungen speichernd mal im antiken Ninive, mal in Smyth´London erscheint.
Soghaft und gekonnt verknüpft Elif Shafak vergangene Zeiten und heutige Bedrohungen, sich kreuzende menschliche Schicksale und die jahrhundertealten Konflikte, die so erschütternd sind, dass das Buch noch lange nachwirkt.
Absolute Lesempfehlung!
Elif Shafak „Am Himmel die Flüsse, Ü aus dem englischen Michaela Grabinger,
Hanser Verlag 28 Euro