So ein mitreißendes Buch hatte ich lange nicht auf dem Nachttisch liegen. Auf drei Zeitebenen erzählt Wyld von den Frauen, die in New Berwick leben oder lebten, einem Ort am wilden schottischen Meer. Die Beziehungen zwischen Schwestern, Müttern und Töchtern und Freundinnen bilden die Folie, hinter der sich die Grausamkeiten der jeweils anderen Zeitebenen in Form der Figur Sarah abzeichnen. Wesen werden wahrgenommen von Ruth, die nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihrem Mann und zwei Stiefsöhnen in die zugige Villa in New Berwick zieht und sich dort zusehends allein fühlt. Der Mann Peter ist viel in London tätig, die Söhne leben im Internat, sie selbst ist den merkwürdigen Gebräuchen der Ortsansässigen ausgeliefert. Der Schritt in den Wahnsinn scheint immer möglich zu sein. Auch die beiden Schwestern, um die es in der Jetztzeit geht, sind verstört von der Gewalt, mit der sie sich konfrontiert sehen und die in unserer Zeit nicht mehr als gegebenes Übel hingenommen werden kann. Die Männer sind alle gewalttätig in diesem Roman. Sarah, aus dem 17. Jahrhundert stammend und entsetzlich ums Leben gekommen, ist der Angelpunkt, sie geistert unerlöst durch das Haus und das Leben der nachfolgenden Frauen.
„Meinst Du, ich hätte es in der Schule leicht gehabt, meinst du, ich wüsste nicht,
wie schwer es ist, Internatszögling zu sein? Ich mache das nicht um
meinetwillen, sondern für die beiden. Auf keinen Fall lasse ich sie hier, dass
sie womöglich noch Schwuchteln werden, die Aquarelle malen und Muscheln
sammeln. Die Welt ist voller Gewalt, der sie sich stellen müssen.“
Das antwortet Peter, als Ruth ihm vorschlägt, die Jungs aus dem Internat zu nehmen, da es ihr als zu brutal erscheint. Ein Schlüsselsatz, der das Leid der Männer, gefangen in einem solchen Konzept, erläutert.
Der Roman ist sehr spannend, obwohl oder gerade wegen der leicht gruseligen Elemente und dem unterschwellig Bedrohlichen, das Wyld höchst geschickt verknüpft mit den Leben der Frauen.
Ein hervorragend erzählter Roman!
Evie Wyld, Die Frauen, aus dem Englischen von Tanja Handels übertragen, Rowohlt Verlag, 22 Euro