Dieser Roman steht auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis, der diese Woche bei der Frankfurter Buchmesse vergeben wird. Und ich finde: er hat den Preis verdient!
Erzählt wird die Geschichte der beiden Halbbrüder Mick und Gabriel. Die Beiden wurden in den Siebziger Jahren in der DDR geboren, der Vater ist ein Student aus Ghana, Idris, der nach seiner Abreise die beiden Kinder zurücklässt, die nichts voneinander wissen.
Im ersten Teil begleiten wir Mick feiernd durch das Berlin der Neunziger Jahre, als es noch wild und unorganisiert der Kreativität und dem freien Leben Platz bot. So leichtfüßig, wie Mick sich durch die Partys schlägt, seine bodenständige Freundin trotzdem immer an seiner Seite, so leichtfüßig erzählt die Autorin. Ihre Sprache spiegelt das Leben von Mick wider, die Zeit eilt voran und zieht uns Leser*innen unwillkürlich mit. Erst als seine Freundin ihn nach Jahren de Betrogenwerdens verlässt, beginnt für Mick eine neue Zeitrechnung.
Ganz anders die im zweiten Teil erzählte Geschichte von Gabriel. Gabriel lebt mit seiner Frau und seinem Sohn im London der Nullerjahre und arbeitet weltweit als berühmter Architekt. Ganz langsam schlittert er in einen Burnout (so würde man es heute wohl nennen), der in einen Vorfall mündet, der Gabriel als Aggressor dastehen lässt und eine Zäsur in sein Leben pflügt. Gabriel erzählt abwechselnd mit seiner Frau, sie berichten über ihr Kennenlernen und darüber, was sie zusammenhält, darüber, wie Gabriel allmählich von der Müdigkeit gepackt wird und wie sie mit dem Vorfall umgehen. Thomae erfasst auch hier durch ihren sprachlichen Rhythmus die ganz Schwere, die im Leben Gabriels liegt.
Nun könnte die Frage aufscheinen, ob es der Autorin um Hautfarbe, Herkunft und Identität gehe – ja, auch, aber nicht vordergründig und nicht so, dass die Themen die Erzählung bestimmen. Diese beiden so unterschiedlichen Menschen stehen im Mittelpunkt ihrer jeweiligen Zeit, die bestimmte gesellschaftliche und historische Bedingheiten hat. Diese sind es, die den Umraum der Entwicklung von Gabriel und Mick bilden. Aber die Hauptpersonen sind Gabriel und Mick als zwei im gleichen Jahr geborene Menschen und ihre Art, mit dem Leben umzugehen und ihre jeweiligen Charaktere auszubilden.
Das Buch hat mich sehr beeindruckt, vor allem, weil die Autorin die Menschen beschreibt, sie erzählen lässt und dadurch zeigt, wie es angehen kann, dass so unterschiedliche Biografien entstehen, obwohl es einen gleichen Vater und einen gleichen „Startpunkt“ gibt.
Jackie Thomae, Brüder, Hanser Verlag, 23 Euro