Tim Krohn „Die heilige Henni der Hinterhöfe“

Wieder ein Berlinroman, der in den Zwanziger Jahren angesiedelt ist. Lustig und leichtfüßig kommt Henni uns entgegen, wild berlienernd, wie alle anderen auch in ihrem Umfeld am Prenzlberg in einfachen, aber zunächst nicht armen Verhältnissen groß werdend. Henni geht ihren Weg, schafft es, eben fünfjährig, ihren Vater bei Schneetreiben in die Hasenheide auf den großen Spielplatz zu locken und dann nicht mehr vom Gerüst herunterzukönnen. Der Vater organisiert Hilfe, letztlich holt die Feuerwehr das Kind vom Gerüst und der Feuerwehrmann stellt fest, dass Henni zu was Höherem“jeborn“ ist. Das ist fortan das Motto in ihrem Leben. Mit 16 schmeißt sie die Schule und beginnt als Tänzerin in einem Etablissement, bei dem die Leserin natürlich vermutet, hier gehe es um ein Bordell, doch weit gefehlt. Henni angelt sich die Männer und hat auch bald einen „Onkel“, bleibt jedoch jungfräulich. So gehen wir mit ihr durch ihr junges Leben und natürlich werden die rechten Umtriebe in dieser Zwischenzeit immer massiver. Ihr Bruder Kuddel, der den Kommunisten angehört, versucht immer wieder, ihr den Ernst der Lage zu verdeutlichen, doch Henni bleibt „unpolitisch“ und sorgt sich um alles, nur nicht um die politische Lage. Erst ganz am Schluss muss sie bitter lernen, dass Wegschauen keine Möglichkeit ist, doch auch das nimmt sie irgendwie mit Lebensfreude.

Ein spannendes, teilweise sehr witziges Buch, das einen lebhaften Einblick in das damalige Leben in Berlin gibt. Der heraufziehende Nationalsozialismus wird in einer Weise thematisiert, die erst auf den zweiten Blick sichtbar wird an der Figur der Henni, die vielleicht stellvertretend für viele der damaligen Zeit stehen könnte.

Ähnlichkeiten mit der Figur der Charlotte Ritter in der gerade angelaufenen dritten Staffel von „Babylon Berlin“ drängen sich ebenso auf wie natürlich der Titel an „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ von Bertolt Brecht anklingt. Bertolt Brecht schrieb dieses epische Theaterstück 1929/30 in Berlin, der Schauplatz sind die Union Stock Yards, die Schlachthöfe Chicagos während der Weltwirtschaftskrise von 1929. Im Mittelpunkt steht bei Brecht die Heilsarmistin Johanna Dark, die angesichts des Arbeiterelends zur Klassenkämpferin wird. Sie scheitert jedoch in ihrem Bemühen, die sozialen Missstände zu verändern.

Aber, wie oben beschrieben, kämpft Henni ganz im Gegenteil nicht für die Arbeiterklasse, sondern für sich und die Menschen, die ihr wichtig sind.

Insofern ist Krohn nicht immer originell in diesem Roman, was aber das Lesevergnügen für mich nicht geschmälert hat angesichts der Dichte, mit der  die Situation beschrieben wird.

Kampa Verlag, 22 Euro