Ein volles Thementableau präsentiert Raphaela Edelbauer in ihrem neuen Roman „Die Inkommensurablen“. Dieser mathematische Begriff beschreibt ein rationales Phänomen, bei dem verschiedenen Längen nicht zueinander passen, also inkommensurabel sind. Im Roman sind viele Themen, einige Situationen und letztlich auch unsere drei befreundeten jungen Menschen, Adam, Klara und Hans, zur Welt und zueinander inkommensurabel. Fulminant und erzählerisch sowie inhaltlich üppig taucht Edelbauer in das Wien unmittelbar vor dem 1. Weltkrieg ein, in eine Stadt, die von Menschen verschiedenster Nationen wimmelt, in einem Kriegstaumel schier versinkt und ein Überangebot an allem bereithält. Unser junger Tiroler Held Hans, der aus seinem Pferdknechtsdasein entwichen ist um die berühmte Psychoanalytikerin Helene Cheresch zu treffen, wird schier überrannt von der ihm unbekannten großen Stadt. Einen Termin bei Cheresch will er, um ihr von seiner Gabe zu erzählen: er kann, unmittelbar bevor die Menschen diese aussprechen, deren Gedanken lesen und weiß, was sie als nächstes sagen werden. Cheresch wiederum forscht an einem Phänomen, das sich mit einem von zehntausend Menschen gleich geträumten Traum beschäftigt, in dessen Mittelpunkt ein Luster steht, welcher in einer Villa in einem Dorf hängt. Dieses Traumphänomen entpuppt sich genauso als Suggestion wie die Freundschaft der drei, die sich eben erst über Helene kennengelernt haben und durch eine wilde Nacht hindurch alle großen Themen erleben- sei es schwul-lesbisches Leben in irgendwelchen Kneipen, ein Treffen unter der Erde, das so traumhaft von Hans durchlebt wird, dass es ebenfalls wie eine Suggestion wirkt bis zur Tatsache, dass auch die hier behauptete Nacht vor der Kriegserklärung eine Suggestion ist, denn diese erfolgte in Wahrheit erst einen Tag später, am 1. August.
Der Stil des Romans klingt an Musil und Schnitzler an und ist dennoch dem heute verhaftet, denn die vielen hochintellektuellen Gespräche, die die drei führen, wirken teilweise ganz unwahrscheinlich für die Zeit. Dieser eigene Ton, den Edelbauer dadurch erschafft, macht das Buch besonders und ja „suggestiv“. Und diese Suggestion auf allen Ebenen ist vielleicht der Kern, auf den das Buch ganz bewusst und gewollt hinsteuert. Der Roman ist spannend und mitreißend, die wenigen Stellen, an denen die Dialoge und Situationen etwas übersteuert wirken, und dies vielleicht mit voller Absicht, tun der Güte des Buches meiner Ansicht nach keinen Abbruch, sondern sind womöglich im Sinne des o.g. Romankerns notwendig. Die KritikerInnen sehen das durchaus unterschiedlich, die Behauptung eines dieser Literaturkritiker, der Roman sei misslungen, kann ich jedenfalls überhaupt nicht teilen.
Aber lesen Sie selbst:
Raphaela Edelbauer, Die Inkommensurablen, Klett-Cotta, 25 Euro