Aus der Sicht der jungen Medizinstudentin Olga erzählt Irina Kilimnik vom Sommer in Odessa im Jahr 2014. Die Geschehnisse im Frühjahr 2014 auf dem Maidan werden nur versteckt erwähnt, jedoch zeigen sich in der Gesellschaft die ersten Risse, die die politische Entwicklung erzeugt. Olga lebt mit ihren beiden Tanten, den drei Cousinen und dem höchst autoritären Opa, der alle Frauen beherrscht, in einer riesigen Wohnung in Odessa. Wider Willen studiert sie Medizin, obwohl ihr früheres Klavierspiel eigentlich ein Musikstudium nahegelgt hätte. Ihre Familie aber hat es für sie so bestimmt und sie kann sich nicht zur Wehr setzen. Warum sie das nicht kann, wird im Laufe des Romans deutlich und verständlich. Bewegung kommt in die erstarrten Verhältnisse, als der alte Freund des Opas, David, aus Amerika anreist. Olga ahnt schnell, dass etwas verheimlicht wird, das mit David zu tun hat. Und eben jenes Geheimnis ist es, das neue Möglichkeiten eröffnet. Olga erlebt den Sommer in Odessa mit allen Sinnen und immer wieder versinkt sie in der Schönheit der Stadt, die die Odessiterinnen und Odessiter auf ewig an sie bindet, so scheint es. Gemeinsam mit ihrem Freund Radj schimpft sie auf ihr Studium, mit ihrer Freundin Mascha erlebt sie die Nacht in Odessa und eine große Liebeserfahrung macht sie auch.
Interessant ist die Schilderung der Macht des Opas auf alle sieben Frauen in dem Großfamilienhaushalt, welche in unseren Breiten eher unbekannt scheinen. Warum wehren diese sich nicht gegen einen solchen Despoten, warum kann er machen, was er will, ohne dass eine der Frauen die Flucht ergeift oder sich energisch wehrt? Nur seine Tochter Ludmila wendet sich einer religiösen Gruppierung zu, der der Opa ausschließlich niedere Beweggründe unterstellt und meint, er müsse seine Besitztümer in Sicherheit bringen und die seiner Enkelin, ein sehr geliebtes Bild, obendrein. Und Olga selbst ist diejenige unter den Frauen, die nach und nach aus dem Gehorsam ausbricht und eingene Wege sucht. Der Opa dagegen verteidigt sein kommunistisches Weltbild gegen die westlichen, natürlich ausschließlich schädlichen, Einflüsse und misstraut allen. Seine Vorhersagen sind aber erstaunlicherweise gar nicht so weit weg von der Realität, wie sich an einigen Ereignissen später zeigt
All das ist begleitet von einem Witz und einer Leichtigkeit, die einem solchen Sommer geschuldet ist, die aber auch von der Andersartigkeit des russisch-ukrainischen Lebens im Vergleich zu unserem erzählt.
Ein auf vielen Ebenen spannendes, unterhaltsames und vor dem Hintergrund der derzeitigen Zerstörung Odessa auch wehmütig stimmendes Buch.
Irina Kilimnik, Sommer in Odessa, Verlag Kein&Aber, 24 Euro