Große Empfehlung meinerseits: das neue Buch von Saša Stanišić ist herrlich. Ein Wunderwerk an Fabulierlust, verpackt in mehrere einzelne Geschichten, die aber entweder thematisch oder vom „Personal“ her zusammenhängen- in jedem Falle aber das Thema „Leben leben“ variieren. Der Autor wünscht sich, das die Leserinnen und Leser es von vorne nach hinten lesen, und ja, das sollte befolgt werden.
In „Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne“ geht es um unterschiedlich alte Menschen, die mit dem Leben klarkommen müssen und das vor allem auch wollen! Die pure, gerade etwas verdeckte, Lebenslust spricht beispielsweise aus der Witwe Gisel, die erprobt, ob die richtig platzierte Gießkanne auf dem Grab ihres vor vier Jahren verstorbenen Hermann tatsächlich dazu führt, dass sich der freundliche Herr Leip an sie wendet. Das ist so liebevoll und sprachwitzig erzählt, dass die Wehmut, mit der Gisel immer wieder kämpft, leicht wird.
Das Buch aber beginnt mit vier Freunden, 1994 in Heidelberg, von denen einer, Fatih, sich ausdenkt, dass es eine Art Proberaum fürs Leben geben sollte. Diesen kann die betreffende Person betreten und entscheiden, ob die Vorstellung von der dort gezeigten Lebenswirklichkeit die richtige für das echte Leben ist. Und dann kann man sich einloggen, und das eigene Leben wird so wie erprobt. Wer kann sich das leisten, und wenn nicht, was dann? Dann heißt es, Eigeninitiative zu zeigen.
„Ihr strengt euch an, damit diese Zukunft eine größere Chance hat, einzutreffen! Ihr fresst nur noch Brokkoli und Nüsse und trinkt nur noch Wein und Olivenöl wie die Griechen. Ihr werdet freundlicher zu allen, weil man weiß, weniger assi zu sein, verbessert die Lebensqualität. Schon seid ihr gesünder und glücklicher, ganz ohne den Proberaum!“
Diese Idee der Wahlfreiheit variiert Saša Stanišić in den folgenden Geschichten, wobei er selbst auch darin vorkommt. Der Junge, der 1994 in Heidelberg als Flüchtling landet, denkt sich aus, die Ferien auf Helgoland zu verbringen. Dort stiehlt er ein wertvolles Schild. Wirklich? Oder hat er in Wahrheit die Wochen auf dem Hochsitz verbracht und Flucht und Ankommen verarbeitet?
Das spielerische und gleichzeitg auch deutlich auf ein Leben als Migrant hinweisende Erzählen über diese Menschen, die nicht oben, eher unten sind, ist witzig, berührend und vollkommen glaubhaft. Das Buch macht einfach nur Spaß.
Saša Stanišić, „Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne“, Penguin Verlag, 24 Euro