Den Prix Goncourt erhielt der im Senegal aufgewachsene Autor Mohamed Mbougar Sarr für diesen unglaublichen, bildungsgesättigten, reflektierenden Roman. Ich bin vollkommen eingenommen von diesem Werk, dass es der Leserin und dem Leser nicht unbedingt leicht macht, dafür aber so viele beeindruckende „Stellen“ enthält, dass ich das Buch eigentlich direkt noch ein zweites Mal lesen müsste.
Erzählt wird im Roman von einem anderen Roman, welcher der Hauptfigur Diégane in Paris durch Zufall in die Hände fällt. „Das Labyrinth des Unmenschlichen“ von T.C. Elimane ist das Buch, um das dieser Roman kreist.
„T.C. Elimane ermöglichte es den afrikanischen Autoren meiner Generation, die man bald wohl nicht mehr als jung bezeichnen kann, sich in feierlichen und blutigen literarischen Wettkämpfen gegenseitig zu massakrieren…..Ich erinnere mich an eines der vielen Abendessen, die wir in Gesellschaft seines Buches verbrachten.“
Schon der Beginn des Romans ist selbstironisch und führt uns in die Welt der in Paris lebenden afrikanischen Autorinnen und Autoren so ein, als ob wir Teil dieser lebendigen und sinnenfrohen Szenerie wären.
Diégane macht sich auf die Suche nach T.C. Elimane und wird ergriffen von einer weit verzweigten Geschichte, die über drei Kontinente führt und und in der die Dichterin Sega D. einen wichtigen Bezugspunkt bildet. Die verschiedenen Erzählebenen und Orte ergeben ein üppiges Bild und haben mir persönlich das Gefühl vermittelt, einen Zugang zur afrikanischen Welt zu bekommen. Der Autor stellt alle Fragen nach Identität und Kolonisierung, die heute so en vogue sind, aber dies nicht im Ton des, behaupteten, Opfers, sondern er lässt die frankophonen afrikanischen Autoren reflektieren über einen Literaturbetrieb, der immer noch eurozentristisch funktioniert und in der die Hautfarbe sehr wohl eine Rolle spielt und den literarischen Wert des jeweiligen Autors überdeckt und genau damit dann doch diskriminiert.
„Es wäre grauenhaft, wenn Elimane diese armen französischen Kritiker mit Hilfe seiner magischen Kräfte in den Selbstmord getrieben hätte. Allerdings würde ich in diesem Grauen, sollte es so gewesen sein, etwas sehr Komisches entdecken. Du nicht? Ein Schriftsteller, der sich unverstanden, falsch gelesen, erniedrigt fühlt, beginnt die böswilligen Kritiker seines Buchs aus Rache zu töten, weil man ihn durch eine andere Brille als die literarische kommentiert, auf eine Hautfarbe, eine Herkunft, eine Religion, eine Identität reduziert: das ist die reinste Komödie“
Kolonialismus, Eurozentrismus, aktuelle Politik, Identität als Mensch und Autor/in und die Literatur als Ausdruck all dessen sind also die zentralen Punkte, um die sich die einzelnen Teile des Romans winden. Insgesamt ergibt sich ein stimmiges Bild, gespickt mit Humor, tiefer Trauer und Lebensfreude, Sinnenfreude, Aufrichtigkeit und Schweigen. Wirklich bombastisch dieser Roman und in so einem kurzen Format nicht fassbar – bitte unbedingt lesen!
„Die geheimste Erinnerung der Menschen“ von Mohamed Mbougar Sarr, übersetzt von Holger Fock und Sabine Müller
Hanser Verlag, 27 Euro