Innerhalb weniger Tage habe ich die über 800 Seiten des neuen Romans des US-Autors Jonathan Frantzen inhaliert. Wir bewegen uns im Chicago des Jahres 1971, in einem Vorort und dort in einer sechsköpfigen Familie. Der Vater ist Pfarrer, die Mutter schmeißt den Haushalt, die vier Kinder haben ihre ganz eigenen Probleme und Gedanken. Alles wird in jeweils einer Person gewidmeten Kapiteln erzählt, so dass sich ein Panorama aus Einzelstimmen zusammenfügt. Wesentlich sind die Themen Religion, Schuld, Gutsein vs. Schlechtsein, eigene Wünsche vs. Gemeinschaftsdenken. Das alles vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, die vom Vietmam-Krieg eingenommen ist, die Nachwirkungen der 68 er Beben verarbeitet und sich auf dem Weg von einer religiös geprägten in eine säkularisierte Gesellschaft befindet. Einzig Judson, das Nesthäkchen der Familie, darf einfach spielen.
Die unterschiedlichen Sichtweisen sind tatsächlich auch in sprachlich unterschiedlichen Stimmen geschrieben, so dass die Identifikation mit einem drogensüchtigen Perry genauso gelingt wie die mit einer Hausfrau Marion, die einfach im täglichen Leben verschwindet (sie ist allerdings die interessanteste Figur durch ihre Zerrissenheit) oder mit Vater Russ, der eine andere Frau begehrt.
Crossroads ist eine Jugendgruppe, in der sich die älteren Hildebrandt-Kinder tummeln, aber natürlich steht dieser Begriff auch für das Hauptthema des Romans, den Scheideweg, an dem alle und die Gesellschaft gleich mit stehen.
Das Buch ist ein echter Pageturner und das Ende der 800 Seiten führt zur Vorfreude auf den nächsten Teil, denn Crossroads ist der erste Teil einer geplanten Trilogie.
Jonathan Frantzen, Crossroads, übertragen von Barbara Abarbanell, Rowohlt Verlag, 28 Euro