Dörte Hansen, Mittagsstunde

In der letzten Nacht musste ich bis halb zwei das neue Buch von Dörte Hansen, Mittagsstunde (Penguin, 22 Euro) zuende lesen, das mich unverhofft gepackt hat.  Erzählt wird die Geschichte des fiktiven nordfriesischen Dorfes Brinkebüll von den Sechziger Jahren bis ungefähr heute. Am Beispiel von Sönke Feddersen und seinem Gasthof werden die dramatischen Veränderungen des ländlichen Lebens insgesamt verdeutlicht. Die Verknüpfungen der Menschen des Dorfes untereinander, ihre Feste, ihre täglichen Rituale, ihr Füreinander-Einstehen und ihre Heimatverbundenheit erzählt Dörte Hansen freundlich und ihren Figuren zugeneigt.  Ingwer Feddersen, der ins ferne Kiel an die Universität „Abgewanderte“, und dort doch nie wirklich Angekommene, pflegt seine alten Großeltern und holt sich so noch einmal ein Stück seiner alten Heimat zurück. Zwischen diesen der Gegenwart sich zuwendenden Schilderungen und den Rückblicken in die Zeit zwischen den Sechzigern und den Achtzigern wechselt der Roman hin und her. Die Verbindungen des Alten mit dem Heutigen stellen sich dadurch von ganz alleine ein, Interpretationen bleiben den Leser*innen erspart. Dörte Hansen erzeugt durch ihre Erzählweise eine zunehmende atmosphärische Dichte, die typisierten und doch individuellen und sympathischen Menschen in diesem Buch erscheinen fast plastisch. Dazu trägt auch bei, dass Dialoge immer uf Platt geführt werden. Der Paukenschlag der Anfangsszene, wenn Ingwers Mutter Marret mit ihren Untergangsfantasien das Dorfpersonal ständig neu konfrontiert, holt die Leser*innen hinein in den Strukturwandel des Dorfes und entlässt sie erst am Ende, wenn es heißt „Es ging hier gar nicht um das bisschen Mensch.“

Eigentlich passiert gar nicht so viel, die Ereignisse liegen hier in den kleinen Veränderungen, die aber große und weitreichende Wirkung haben. Am Ende des Buches ist klar, das Leben der Dörfer, wie wir es uns, vermutlich romantisierend, vorstellen, gibt es schon lange nicht mehr, es fand ein Ende mit der Flurbereinigung in den Sechziger Jahren.

Ein sehr lesenswerter Roman, der schon auch wehmütig stimmt, durch seine sehr geschickte Komposition von Gegenwart und Vergangenheit aber eine sehr schöne Leseerfahrung ermöglicht.