So ein spannendes Buch! Der Austausch zwischen der brandenburgischen Bäuerin Theresa und dem urbanen, woken und hippen stellvertretenden Chefredakteur von der Hamburger Zeitung „Der Bote“, Stefan, erspart uns kein aktuelles Debattenthema. Theresa und Stefan haben sich nach 20 Jahren Pause (gemeinsames Studium in Münster) wiedergetroffen und begonnen, sich zu schreiben. Die Beiden debattieren ihre Themen tatsächlich und sparen nichts aus. Scheinbar eindeutige Wahrheiten werden von der jeweils anderen Person als zu „einfach“ entlarvt und es wird die Komplexität erläutert, die im jeweiligen Thema verborgen ist. Die Botschaft des Buches scheint zu lauten: traut euch, haut euch um die Ohren, was ihr denkt und fühlt und wahrnehmt. Sagt euch, wo die Präferenzen liegen (sollten) und bleibt dennoch befreundet. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, in der heutigen Social-Media-Kultur aber wohl nicht mehr, so die Autorin und der Autor. Die Schwarzweißmalerei, das Framing, Shitstorms und die passenden, die notwendigen Reaktionen darauf werden deutlich im Geschehen in Stefans Zeitung. Der Umgang damit, das Sich-Anpassen an diesen Zeitgeist, oder eben das Dagegen-Angehen im Falle Theresas in ihrer landwirtschaftlichen Welt ist wirklich interessant mitzuverfolgen und packend ohnehin. Theresas Ohnmacht, ihre zunehmende Wut angesichts der Folgen unverständlicher Agrarpolitik, Auflagenterrors und mangelnder Anerkennung der Leistung von Landwirtinnen und Landwirten ist nachvollziehbar und eröffnet viele neue Fragen. Ob es sich bei dem Buch um einen Roman handelt? Bei den vielen realen Themen besteht die Fiktionalisierung nur noch darin, dass Stefan und Theresa ausgedachte Protagonisten sind und plakativ und manchmal etwas holzschnittartig ihre jeweiligen Welten vertreten. Und natürlich ist dies kein literarisches Buch, aber: es handelt sich bei den Mailenden ja nicht um Autorin und Autor, sondern um Laienschreibende, insofern ist die Schreibweise nur schlüssig. Der Aufbau, die durchgehende Spannung in der Auseinandersetzung und die Entwicklung sowohl in Stefans Welt als auch in Theresas sind dagegen natürlich dem Können Zehs und Urbans zuzuschreiben.
Das Buch ist schlau und die Wahrnehmung dessen, was gerade zur Spaltung unserer Gesellschaft beiträgt, haben Zeh und Urban kleinteilig und spitz zutreffend herausgearbeitet und in den Schriftverkehr von Theresa und Stefan „übersetzt“. Das Buch schmerzt fast, so bitter ist diese Bestandsaufnahme und gleichzeitg ist es beruhigend, dass es ja „nur“ darum geht, wieder ins Gespräch zu kommen und sich zuzuhören und dass damit womöglich viel gewonnen sein könnte.
Juli Zeh, Simon Urban: Zwischen Welten, Luchterhand, 24 Euro