Der Januar hielt eine bunte Mischung sehr unterschiedlicher Lektüre für mich bereit. Dazu versuche ich mich hier an möglichst aussagekräftigen Kurzrezensionen:
Der „schrägste“ Titel war sicherlich „Lovecraft Country“ von Matt Ruff. Amerika, Fünfziger Jahre, die Schwarzen sind vollkommen der Willkür der Weißen ausgeliefert. Wir befinden uns in einer unwirklichen, gesetzlosen Gegend, in der mystische Dinge geschehen. Angelehnt an die Horrorwelt des Autor H.P Lovecraft hat Ruff hier ein packendes, grausiges Buch geschrieben, das ich sowohl in der deutschen Ausgabe (Hanser, 24 Euro. Ü: Anne Leube, Wolf-Heinrich Leube) als auch im englischen Original vorrätig habe. Dazu noch zwei Titel von H.P. Lovecraft selbst, seinen Klassiker „Berge des Wahnsinns“ sowie „Horror stories“. Es besteht also die schöne Möglichkeit, sich einmal in die literarisch gehobene Horrorwelt zu begeben – dazu würde dann noch der gute alte Edgar Allan Poe passen, von dem eine herrlich illustrierte (Kat Menschik) Ausgabe der „Unheimlichen Geschichten“ (Galiani, 18 Euro)vorliegt.
Größte Überraschung war „Der Apfelbaum“ von Christian Berkel. Ein echter Roman, sehr gut konstruiert und mit einer schönen Sprache versehen, elegant, abwechslungsreich, ohne Stolperer – das ist diese Rekonstruktion der sehr windungsreichen Familiengeschichte Berkels. Ich hatte mich ewig geweigert, vorurteilsbehaftet wie ich es war, diesen Schauspieler-Roman zu lesen. Aber ich wurde eines Besseren belehrt: hier schreibt ein Schriftsteller, der auch als Schauspieler tätig ist- diese Aussage auf dem Klappentext stimmt.
Ullstein Taschenbuch, 11 Euro
Das bewegteste Buch ist „Der Salzpfad“ von Raynor Winn geworden: ein Paar in den Fünfzigern verliert alles und beschließt, obdachlos wie es nun geworden ist, den South-West-Coast-Path an der Küste Englands entlangzuwandern. Nur mit einem kleinen Zelt, dünnen Schlafsäcken und 50 Pfund die Woche machen sie sich auf den 1000 km langen Weg, der ca. 30.000 Höhenmeter umfasst. Ich folgte den Beiden täglich aufs Neue höchst gespannt und habe am Ende beschlossen, dass ich da auch hin will. Ein berührendes Buch für Wanderfreaks und Menschen, die am Schicksal anderer Interesse haben.
Dumont, 14,99 Euro
Dramatisch-psychologisch-philosophisch ist John Burnsides „Über Liebe und Magie“
„Ich brachte es nicht über mich, ihr zu bekennen, dass ich sie wollte, denn ich wollte sie ja unbedingt; und ich konnte ihr nicht sagen, dass genau dies der Grund war, weshalb ich sie zurückgewiesen hatte.“
Von der Unmöglichkeit, Liebe zu leben, wenn die Ausgangsvoraussetzungen so sind, wie Burnside sie durch seine harte Kindheit mitbringt. Krass und beeindruckend.
Penguin, 20 Euro
Das englischste Buch ist Barbara Pyms „Vortreffliche Frauen“, ein Roman, der in den Endvierzigern spielt. Räumlich auf ein kleines Londoner Viertel eingegrenzt erzählt Pym ironisch und mit großer sprachlicher Eleganz aus der Sicht ihrer Hauptfigur Mildred. Diese sorgt sich um alle anderen, insbesondere den örtlichen Pfarrer und das Gemeindeleben, sie ist also eine Kanzelschwalbe. Als ein lebenslustiges Ehepaar in ihr Haus einzieht, muss Mildred sich mit anderen Lebensformen arrangieren. Herrliches Buch, das erst kürzlich wiederentdeckt wurde.
Dumont, 20 Euro
Bösestes Buch ist natürlich von Petra Piuk „Toni und Moni“. Hier wird der klassische Heimatroman auf witzigste aber auch böseste Weise auseinandergepflückt und neu geschrieben. Das Lachen bleibt fast im Halse stecken.
Kein und Aber, 12 Euro
Last but not least Elizabeth Strout „Alles ist möglich“. Wieder im Mittleren Westen Amerikas angesiedelt, aber ohne jegliche Verwandtschaft mit Lovecraft Country erzählt Strout in Episoden vom Leben verschiedener Bewohnerinnen und Bewohner eines klassischen Kleinstädtchens, von gescheiterten Existenzen, Armut und Erfolgen ebenso wie von den kleinen Ereignissen des Alltags und der Suche nach Liebe und Glück. Manchmal melodramatisch, oft sehr fein beoebachtet und anrührend. Das Buch wurde 2018 mit dem Story Prize ausgezeichnet.
btb, 11 Euro